Hitzewellen in der Region: Von der Ausnahme zur Regel

Heiße Tage haben deutlich zugenommen – doch Hitze ist nicht gleich Hitze

Nachdem sich der Sommer 2020 anders als seine beiden Vorgänger bis Ende Juli in Sachen heiße Tage noch vornehm zurückgehalten hatte, kam die Hitze im Laufe der ersten Augustwoche mit Macht nach Deutschland. Weitgehend ausgespart blieben dabei nur die Regionen etwa südlich der Donau, Höhenlagen ab etwa 800 Meter sowie die Küstenabschnitte und Inseln der Nord- und Ostsee – diese aber auch nur bei auflandigem Wind. Bei Winden aus östlicher Richtung lagen die Höchstwerte in Arkona auf Rügen nur zwischen 23 und 25 Grad Celsius, während in List auf Sylt bei dort ablandigem Wind von Freitag bis Montag vier heiße Tage oberhalb der 30-Grad-Marke in Folge erreicht wurden – erst zum zweiten Mal in der dortigen Messreihe seit immerhin 1937. Doch wie ordnet sich die aktuelle heiße Witterungsphase in die lokale Historie ein und wann liegt überhaupt eine Hitzewelle vor?

Für viele Begriffe in der Meteorologie gibt es klare und eindeutige Definitionen. So spricht man zum Beispiel von einem Frosttag, wenn der Gefrierpunkt unterschritten wird, ein Sommertag liegt vor, wenn die Höchsttemperatur mindestens 25 Grad Celsius erreicht und Tage mit einem Maximum von 30 Grad und mehr gelten als heiße bzw. Hitzetage. Eine Hitzewelle hingegen ist weder exakt noch verbindlich definiert, stattdessen gibt es unterschiedliche Ansätze, die mehr oder weniger versuchen, auch die lokalen Klimaverhältnisse sowie das Temperaturempfinden des Menschen und die sich aus verschiedenen Faktoren ergebende Wärmebelastung zu berücksichtigen. Es geht also um mehr als nur um eine Aneinanderreihung von heißen Tagen von mindestens 30 Grad.

Der Deutsche Wetterdienst DWD beschreibt den Begriff in seinem Wetterlexikon so: „Eine Hitzewelle ist eine mehrtägige Periode mit ungewöhnlich hoher thermischer Belastung. Eine Hitzewelle ist ein Extremereignis, welches die menschliche Gesundheit, die Ökosysteme und die Infrastruktur schädigen kann. In unseren Breiten treten Hitzewellen häufig im Zusammenhang mit andauernden sommerlichen Hochdrucklagen auf.“

Zu klären ist also vor allem, wann eine „mehrtägige ungewöhnlich hohe thermische Belastung“ vorliegt. Als mehrtägig hat sich mittlerweile eine Dauer von mindestens drei Tagen durchgesetzt. Die ungewöhnlich hohe thermische Belastung hingegen hängt von mehreren Faktoren ab – natürlich von der gemessenen Temperatur, aber auch von Sonneneinstrahlung, Luftfeuchte und Wind. Während trockene Luft im Sommer meist als weniger wärmebelastend empfunden wird, sinkt das Wohlempfinden mit zunehmender Feuchte bei den meisten Menschen deutlich ab. Sehr feuchte Luft wird oft als schwül und „drückend“ empfunden, ohne dass die Temperatur auf 30 Grad und mehr steigen muss, während trockene Hitze auch über 30 Grad meist weniger belastend ist, wenn man auf körperlich anstrengende Aktivitäten sowie längeren Aufenthalt in der prallen Sonne verzichtet. Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren errechnet sich die sogenannte „gefühlte Temperatur“. Für sie gilt: Sonne und Feuchte steigert sie (teils deutlich) über den gemessenen Wert, Wind führt zum gegenteiligen Effekt und wird daher im Sommer als angenehm kühlend, im Winter bei Frost als deutlich kälteverschärfend empfunden. Natürlich kommen individuelle Faktoren des Menschen wie Körpergewicht und Gesundheitszustand hinzu, was die Sache zunehmend komplex macht und hier nicht weitergehend erläutert werden kann. Zum Weiterlesen empfiehlt sich die Seite https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv2=100932&lv3=100988 inklusive der dort verlinkten Artikel.

Dennoch hat der DWD einige Schwellenwerte für die thermische Belastung festgelegt. So beginnt eine mäßige Wärmebelastung ab einer gefühlten Temperatur von 26 °C, eine starke Wärmebelastung liegt ab 32 °C vor und ab einer gefühlten Temperatur von 38 °C spricht man von einer extremen Wärmebelastung. Und mit einer solchen extremen Belastung haben wir es in diesen Tagen durchaus zu tun: So wurden an der DWD-Station in Bevern am Samstag und Sonntag Höchstwerte von 35,5 und 34,6 °C gemessen, am Sonntag unter zunehmender Feuchte, die auch im weiteren Verlauf der Woche eine Rolle spielen wird. Ein wichtiger Rechenwert zur Beurteilung der „Schwüle“ ist der Taupunkt. In der Regel werden bei sommerlichen Temperaturen Taupunktwerte ab etwa 14 Grad als schwül, ab 17-18 Grad als sehr schwül empfunden. Am Sonntagabend unter der Wolkendecke war dieser Wert an der Beveraner Station von knapp 15 Grad am frühen Nachmittag auf extrem schwüle 21 Grad gestiegen, so dass sich die unter den Wolken gemessenen 28 Grad deutlich wärmer und belastender anfühlten. Der Rückgang der Lufttemperatur gegenüber dem Nachmittag führte also nicht zu einer thermischen Entlastung. Auch die am Montagnachmittag gemessenen 30 Grad führten bei einem Taupunkt von 16 Grad zu einer starken Wärmebelastung, für die der DWD auch eine entsprechende Warnung ausgegeben hatte.

Bleibt noch die Frage, wann eine solche Belastung als ungewöhnlich einzustufen ist. Dabei berechnet der DWD zunächst einen ortsgenauen Schwellenwert aus der noch gültigen Klimaperiode 1961-1990 – und zwar für jeden einzelnen Tag unter Zuhilfenahme der jeweils 15 Tage vor und nach dem Termin. Als Schwellenwert wird das 98-Perzentil verwendet. Ein Beispiel: Um den Schwellenwert für den 16. August zu ermitteln, werden die insgesamt 930 Höchstwerte vom 01.-31.08. der Jahre 1961-1990 vor Ort betrachtet (also die damals in Holzminden gewonnenen Messungen). Daraus werden aufsteigend sortiert 100 gleich große Gruppen von Werten gebildet und der 98. Wert dieser Perzentile ergibt den Schwellenwert. Wird dieser und zugleich die Marke von 28 Grad Celsius an mindestens drei Tagen überschritten, liegt in der Definition des DWD eine Hitzewelle vor.

Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich im Alltag allerdings ein paar Probleme. Zum einen steht im kommenden Jahr wie mehrfach berichtet ein Wechsel der Referenzperiode beim Klima an, es gelten dann die Jahre 1991-2020, in den die Sommer in Deutschland im Schnitt um 1,3 Grad wärmer geworden sind. Gilt es die Schwellenwerte dann anzupassen? Und ein Blick in die Vergangenheit wird durch die komplexe Ermittlung der gefühlten Temperatur und der Wärmebelastung deutlich erschwert, da viele Messwerte zu berücksichtigen sind, die aber oft gar nicht vollständig vorliegen und zudem aufwändige Rechenoperationen erfordern.

Um die Frage nach den lokalen Hitzewellen seit 1951 (also seit Tageshöchstwerte vorliegen) zu beantworten, ist daher eine andere, einfachere Methode besser geeignet, auch wenn sie sich auf die reinen gemessenen Werte bezieht und die Wärmebelastung nicht berücksichtigt. Sie stammt vom tschechischen Meteorologen Jan Kysely und wird häufig für die Auswertung von Hitzeperioden in Mitteleuropa verwendet:
„Eine Hitzewelle wird festgestellt, sobald an mindestens drei Tagen in Folge die Maximaltemperatur 30 °C überschreitet und hält so lange an, wie die mittlere Maximaltemperatur über die gesamte Periode über 30 °C bleibt und an keinem Tag eine Maximaltemperatur von 25 °C unterschritten wird.“

Nach dieser Definition befinden wir uns also in einer laufenden Hitzewelle, da das Eingangskriterium von mindestens drei heißen Tagen in Folge am Samstag erreicht wurde und seitdem weder das mittlere Maximum seit Donnerstag unter 30 Grad gefallen ist noch die 25-Grad-Marke an einem Tag verfehlt wurde. Doch wie ordnet sich diese Hitzewelle in die Messungen in Holzminden und Bevern seit 1951 ein?

Dazu wurden alle Messungen seither ausgewertet, wobei die bekannten Messlücken zu stopfen waren: Die fünfmonatige von 1978, die auch die Sommermonate betraf, sowie die Zeit von August 1991 bis Juni 2006. Von 1992-1996 konnte die Ersatzstation Boffzen verwendet werden, von 1997 bis Juni 2006 musste auf ein Interpolierungsverfahren aus verschiedenen Umgebungsstationen (vorwiegend Hameln, Lippoldsberg, Schieder und Borgentreich) zurückgegriffen werden, mit dem sich zwar die Höchsttemperatur vor Ort nicht aufs Zehntel genau ermitteln lässt, die Abgrenzung einer Hitzewelle aber mit hinreichender Genauigkeit vorgenommen werden kann.

Das Ergebnis offenbart die zu erwartende deutliche Zunahme der Anzahl von Hitzewellen in den letzten 30 Jahren sowie eine weitere nach der Jahrtausendwende. Ob die jüngsten Jahre ab 2018 einen noch stärkeren Anstieg eingeläutet haben, muss natürlich abgewartet werden. Auffällig ist allerdings auch eine Intensivierung der Hitze seit 2015 mit dem Erreichen bzw. Überschreiten der 37-Grad-Marke in drei Jahren (2015, 2018, 2019).

So gab es in den 1950er und 1960er Jahren nur jeweils zwei Hitzewellen an der damaligen Klimastation in Holzminden, die repräsentativ für vergleichbare Höhenlagen um 100 m im selben Naturraum (Holzmindener Oberwesertal) ist und keine in aufeinanderfolgenden Jahren. Eine erste Häufung gab es Mitte der 1970er Jahre, als drei Sommer in Folge eine Hitzewelle schafften: 1974 in einem ansonsten kühlen Sommer eine kurze mit der Mindestlänge von drei Tagen und in den beiden für damalige Verhältnisse sehr warmen Folgesommern zwei längere Wellen, die sogar bis heute auf den vorderen Plätzen stehen: 1975 gab es vom 4. August an neun heiße Tage von mindestens 30 Grad in Folge (die gesamte Hitzewelle brachte es auf zwölf Tage) – bis heute Platz drei in dieser Kategorie, nur 2003 und 2018 schafften noch längere Serien von je 13 30ern. Und der Sommer 1976 stellt mit 18 Kysely-Tagen zusammen mit 2018 die längste Hitzewelle seit Aufzeichnungsbeginn.

Nach einer Reihe von kühlen und nassen Sommern in den Jahren 1977-1981 gab es erst 1982 und im damaligen „Jahrhundertsommer“ 1983 weitere Hitzewellen, die aber ebenso wie die des Sommers 1984 kurz blieben. 1983 wurden aber erstmals in einem Sommer gleich zwei voneinander getrennte Hitzewellen beobachtet.

Die nächste trat erst im Jahr 1990 auf, in den 90er-Jahren gab es dann schon sieben Jahre mit mindestens einer Hitzewelle, 1994 und 1999 waren es sogar je zwei. Nach der Jahrtausendwende wurden Hitzewellen zum Regelfall, in nur vier Jahren wurde seither keine mehr registriert: 2005, 2009, 2011 und zuletzt 2017. Dafür markierte die Hitze der ersten Augusthälfte 2003 eine Zäsur, als es gleich 13 Tage mit (teils deutlich) über 30 Grad in Folge gab. Auch damals glaubte man wieder an ein Jahrhundertereignis – um nur 15 Jahre später eines Besseren belehrt zu werden, als es erneut 13 heiße Tage am Stück und eine Kysely-Welle von sogar 18 Tagen gab. 2019 fügte verteilt auf zwei Wellen 13 weitere Tage hinzu und hätte sogar fast ein Novum mit drei Hitzewellen in einem Sommer nach dieser Definition geschafft, es reichte aber im Juni nicht für die drei Tage in Folge mit mindestens 30 Grad als Start-Kriterium. Nach der komplexeren DWD-Definition allerdings war 2019 der erste Sommer vor Ort mit gleich drei voneinander getrennten Hitzewellen.

Und wie ordnet sich die aktuelle heiße Phase ein?  Der absolute Höchstwert sollte am Samstag mit 35,5 °C erreicht worden sein, die Serie der heißen Tage dürfte noch bis Donnerstag, vielleicht auch bis Freitag andauern und die Hitzewelle nach den Kysely-Kriterien wäre wohl frühestens zu Beginn der kommenden Woche beendet. Bis dahin sollten die Verhaltensempfehlungen in den Warnungen des DWD soweit wie möglich beachtet werden.

 

Hitzewellen_2323

Diagramm mit Stand 11.08.2020

Autor: wesersollingwetter

Hobbymeteorologe und Autor des monatlichen Lokalwetterrückblicks im Täglichen Anzeiger Holzminden.

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