… nur noch nicht von allen“ (Karl Valentin)
Oder: Die nicht enden wollende und nicht endende Geschichte vom Siebenschläfer
Nein, etwas Neues zum Thema hat auch dieser Blog definitiv nicht beizusteuern, im Grunde können wir also gleich wieder aufhören zu schreiben und zu lesen, uns zurücklehnen und anderen Fragen zuwenden, denn: auch 2017 wurde nicht an diesem viertletzten Junitag über das Schicksal des Hochsommers entschieden.
Warum nicht? Die Antworten sind wohl auch denen, die nicht weiter mit der Materie vertraut sind, bekannt: Lostagsregeln sind schon an sich ein Unsinn, da spielt es auch keine Rolle, welchen Kalender wir zur Hand nehmen: den julianischen, den gregorianischen oder den aus Schokolade, der seit dem letzten Dezember in einer dunklen Ecke vergessen wurde und sich nun womöglich geruchsintensiv in Erinnerung bringt : So reizvoll die Idee auch sein mag, dass unsere Atmosphäre bereits die Karten für den Witterungsverlauf der nächsten Wochen in den Händen hält und uns an einem bestimmten Tag hineinschauen lässt: Es funktioniert nicht, nicht am 27. Juni und auch nicht an den anderen 364 Tagen im Jahr.
Löst man sich von der Tagesvision, gelangt man zur sogenannten „erweiterten Siebenschläferregel“, und die darf man sich dann ruhig etwas genauer ansehen – ohne dass wir, um es vorweg zu nehmen, damit den Hochsommerverlauf 2017 vorhersagen können. Trotzdem fassen wir den Grundgedanken dahinter kurz zusammen: Im Frühjahr geht es in der für unser mitteleuropäisches Klima hauptverantwortlichen Wetterküche eher unruhig und vor allem unausgeglichen zu: Kalte Luftmassen aus Norden versuchen nach Süden auszubrechen, gelingt ihnen dies, treiben sie auf ihrer Vorderseite, also östlich davon, warme Lufmassen nach Norden und entsprechend hoch ist die Varianz unserer Witterung in diesen Wochen und Monaten, wo sich kalte bzw. kühle und (sehr) warme Abschnitte schnell abwechseln können – erinnern wir uns an den Mai mit seiner deutlich unterkühlten ersten Dekade und dem nachfolgenden, teils schon hochsommerlichen Verlauf. Auch der Juni fällt klimatologisch überwiegend noch unter dieses Zirkulationsmuster, in dem die zonalen, also westlichen Strömungen ihr langjähriges relatives Minimum erreichen und die meridionale Zirkulation dominiert. Meere (für uns relevant: Der Ostatlantik und die Nordsee) heizen sich aufgrund ihrer thermischen Trägheit langsamer auf als die Landmassen, auch dieser Temperaturgegensatz ist ein Umstand, der unbeständige Wetterlagen fördert.
Um den Monatswechsel Juni/Juli herum vollzieht unsere nordhemisphärische Atmosphäre dann gerne einen Übergang von der noch frühjahrsgeprägten in die sommerliche Zirkulation. Das ganze System wird umgangssprachlich träger und fauler und die Veränderungsbereitschaft ist dann nicht mehr so hoch – oder anders ausgedrückt: Die Erhaltungsneigung der Großwetterlagen nimmt zu. Meist ist damit auch eine Wiederkehr der zonalen Westwindzirkulation verbunden und dabei kommt es dann darauf an, auf welcher bevorzugten Zugbahn die Tiefdruckgebiete (Zyklonen) ziehen – bei einer nach Norden verschobenen Frontalzone stehen die Chancen auf längere hochdruckgeprägte, sonnenscheinreiche Abschnitte auch im Norden des Landes gut, bei einer nach Süden verschobenen entsprechend insgesamt schlecht und der Mittelweg bedeutet dann oft: unbeständiger, eher mäßig temperierter Norden schaut auf einen warmen bis heißen und sonnigeren Süden.
Da das Ganze aber keinen strikten Regeln folgt, ist ein durchgehend von nur einer Großwetterlage geprägter Hochsommer (also die Zeit von Anfang Juli bis Mitte August) nahezu unmöglich, häufiger sind dagegen vorherrschende Muster mit Unterschieden im Detail, die vorübergehend auch komplett unterbrochen werden können. Wir sehen also: erhöht man die Anzahl der Wenns und Abers, steigt auch die Eintreffwahrscheinlichkeit einer Hochsommerprognose – die dann allerdings so unscharf wird, dass wiederum nur grobe Trendaussagen möglich sind, und diese entsprechen dann – ja, genau: ziemlich oft dem langjährigen Klima Mitteleuropas. Für unsere Region ist man also mit „unbeständig, einzelne sehr warme Phasen wechseln sich mit längeren wolkenreichen und mäßig temperierten Abschnitten ab“ sehr oft auf der richtigen Seite: Unsere Sommer sind seit 1988 deutlich wärmer geworden, dieser Trend ist ungebrochen, damit ist allerdings keine vergleichbar signifikante Zunahme der Sonnenscheindauer verbunden, so dass die Kernaussage lautet: auch die Sommer vor Ort sind wärmer als früher, aber nach wie vor unbeständig. Ein reichlich überstrapazierter Ausdruck diverser privater Wetterdienste dafür lautet: Schaukelsommer.
Nach alledem wissen wir: immer noch nichts über unseren kommenden Hochsommer. Das liegt neben den genannten Gründen auch daran, dass derzeit eine mittelfristige Prognose über die weitere Entwicklung ab etwa in einer Woche, also Anfang Juli, so gut wie unmöglich ist – die Wettermodelle rechnen vereinfacht dargestellt am Beispiel des EZMW von heute Morgen derzeit drei Varianten: Eine (vorübergehend) erneut sehr warme, eine (deutlich) unterkühlte und – man traut es sich kaum zu schreiben: eine mittlere dazwischen.
Was man hingegen festhalten kann: nach einem nochmals recht warmen Mittwoch mit Höchstwerten um 25 Grad in den tiefen Lagen der Region zieht mit Schauern und Gewittern eine Abkühlung mit nachfolgenden Tageswerten von nur noch um 20 Grad in der Spitze auf, am Wochenende eher noch darunter, und dazu gibt es tägliche Niederschlagssignale und nur wenig Sonne. Am Donnerstag ist sogar ergiebiger Regen zu erwarten.
Nun ließe sich spekulieren, dass wenn sich diese Wetterlage mit viel Gewölk, Regen und wenig Sonne auch in der kommenden Woche halten sollte, gemäß der erläuterten Erhaltungsneigung der Witterungscharakter für die nachfolgenden Wochen bis etwa Mitte August (wenn sich die großräumige Zirkulation gerne nochmal umstellt) ähnlich darstellen wird – darüber kann aber eben erst in gut einer Woche bis zehn Tagen befunden werden und auch dann wird man allenfalls zu einer vagen Trendaussage gelangen (können).
Nach soviel wortreichem Unwissen aber doch noch ein paar handfeste Fakten, was bekanntlich in der Rückschau bedeutend einfacher ist. Blicken wir also auf den vergangenen Sommer: Da stellte sich im Zeitraum Ende Juni/Anfang Juli eine zyklonale (tiefdruckgeprägte) Westwetterlage mit allerdings nicht durchgreifend zonalem Charakter, sondern einer mehr oder weniger stark mäandrierenden Frontalzone ein, zunächst eher mit südwestlichem Einschlag (GWL-Typ „Winkelwest“), später dann auch zonaler, entweder als antizyklonale Westlage Wa (die aber den Süden klar bevorteilt und im Norden eher tiefdruckdominiert daherkommt) oder aber als klassische „Wz“ (zyklonale Westlage), bei der sich fast landesweit Tiefdruckgebiete mit kurzlebigen Zwischenhochs abwechseln. Jedenfalls war der überwiegende Wettercharakter des Hochsommers gerade in der Nordhälfte ein tiefdruckgeprägter, mäßig warmer mit einer zwischenzeitlichen sehr warmen, kurzzeitig heißen Hochdruckphase zum Ende der zweiten und zu Beginn der dritten Julidekade. Davon abgesehen war es aber unterdurchschnittlich sonnig mit einem Tagesmittel in Holzminden/Bevern zwischen dem 1.7. und 15.8. von nur 5,47 Stunden.
Die Umstellung erfolgte dann tatsächlich Mitte August: Abgesehen von kurzen Rückfällen zeigte sich das Wetter bis Ende September hochsommerlich mit zwei späten Hitzewellen und viel Sonnenschein: Das Tagesmittel der zweiten Augusthälfte lag vor Ort bei 9,3 Stunden und im September bei immer noch 6,34 Stunden und damit trotz deutlich geringerer lichter Tageslänge (astronomisch möglicher Sonnenscheindauer) über dem Hochsommer.
Mit einigen Einschränkungen hat sie also im Jahr 2016 funktioniert, die erweiterte Siebenschläferregel: Der Hochsommer verlief entsprechend dem Muster Anfang Juli überwiegend tiefdruckgeprägt mit unterdurchschnittlicher Sonnenscheindauer bei im Juli noch überdurchschnittlicher Temperatur, vor allem dank der knapp einwöchigen erwähnten deutlich wärmeren und sonnigeren Phase. In der ersten Augusthälfte war bei nochmals geringerer Sonnenscheindauer von nur 4,4 Stunden pro Tag dann auch die thermische Bilanz deutlich verhaltener. Hinten raus war die Sommerente 2016 dann allerdings sehr fett.
Und 2017?
Mit Karl Valentin hat es angefangen – und mit Karl Valentin soll es auch enden. Dem Münchner werden weitere Zitate zugeschrieben, und eines parodiert auch das Verweigern einer Hochsommerprognose in diesem Beitrag: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“
Und wenn der Hochsommer nicht wie gewünscht verlaufen sollte? In dem Falle ist auch Valentin ratlos: „Alle reden übers Wetter, aber keiner unternimmt was dagegen.“
In diesem Sinne lassen wir uns einfach überraschen.