Der Februar 1990 schrieb regional und bundesweit Wettergeschichte
Im aktuellen Februar erleben wir derzeit eine kräftige und ungewöhnlich ausdauernde Westwetterlage mit Regen, Sturm und für die Jahreszeit meist deutlich überdurchschnittlichen Temperaturen. Ein Blick zurück ins Jahr 1990 offenbart allerdings noch ganz andere Kaliber: Vor 30 Jahren richtete eine Serie von schweren Stürmen und Orkanen über Teilen Europas immense Schäden an und forderte eine Reihe von Menschenleben, allein 64 in Deutschland.
Mitteleuropa stand mehrfach im Zentrum der Sturmfelder, in Deutschland wüteten zwischen dem 25. Januar und 1. März insgesamt acht Sturmtiefs, von denen Daria und Vivian in unserer Region die kräftigsten und schadensträchtigsten waren, während Wiebke zum Abschluss der Kette am 1. März vor allen die Südhälfte heimsuchte. Dazu präsentierte sich der Monat außergewöhnlich warm, die Höchstwerte im Wesertal lagen an vielen Tagen über zehn und im Vorfeld des Orkans Vivian sogar tagelang zwischen 15 und 17 Grad. Frost gab es dagegen nur an einem einzigen Tag. Die an der damaligen DWD-Station Holzminden am Bergblick gemessene Monatsmitteltemperatur von 6,8 °C stellte einen neuen Februarrekord auf und wurde bis heute trotz der allgemeinen Erwärmung noch nicht annähernd wieder erreicht. Auch im deutschen Gebietsmittel führt der Februar 1990 die Liste mit 5,74 °C Mitteltemperatur an.
Den Startschuss für diese turbulente Spätwinterwitterung lieferte Orkan Daria am 25. Januar 1990. Das Sturmtief hatte sich bei Schottland gebildet und bis zu einem Kerndruck von etwas unter 950 Hektopascal vertieft. In Deutschland erreichten die Orkanböen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 230 km/h auf dem Brocken und bis zu 161 km/h im Tiefland in Cuxhaven. Großflächig wurden vor allem in der Nordhälfte der alten Bundesrepublik 120-130 km/h erreicht. In unserer Umgebung wurde an den DWD-Stationen in Bad Lippspringe mit 126 und Göttingen mit 124,2 km/h volle Orkanstärke gemessen. An der nächstgelegenen Station mit Windmesser in Hameln waren es zwar „nur“ 108,7 km/h, doch nur ein Stück weiter nordwestlich in Bückeburg wurde mit 153,7 km/h die deutschlandweit zweitstärkste Tieflandböe registriert.
Daria forderte in Deutschland acht Menschenleben und mindestens 94 in Europa. Es galt längere Zeit als das Orkantief, das europaweit den höchsten versicherten und volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet hat. Der versicherte Schaden würde in Deutschland heute ca. 1,5 Milliarden € (indexiert auf das Jahr 2012) betragen und wurde erst im Januar 2007 durch Kyrill übertroffen.
Daria wird in der Fachwelt als „Shapiro-Keyser-Zyklone“ eingestuft: Während sich üblicherweise Warm- und Kaltluft in einem Tiefdruckgebiet mischen und die vorlaufende Warmfront von der nachfolgenden Kaltfront eingeholt wird, so dass sich diese zu einer Mischfront (Okklusion) vereinen, bleiben Warm- und Kaltfront bei der Shapiro-Keyser-Zyklone getrennt. Dabei ist die Kaltfront schwächer ausgeprägt und beinahe im rechten Winkel zur Warmfront ausgerichtet. Bei einem solchen Tiefdruckgebiet sticht meist zunächst der Warmsektor mit sehr hohen Windgeschwindigkeiten hervor, die aber meist noch auf die höheren Regionen beschränkt bleiben. Für das Tiefland liegt der Fokus für die höchsten Windgeschwindigkeiten nicht selten erst beim Durchzug der Kaltfront, wo mit plötzlich einsetzender vertikaler Umlagerung (sichtbar durch teils kräftige Schauer- oder Gewitterwolken) die Höhenwinde vorübergehend bis in tiefe Lagen herabgemischt werden können mit dem entsprechend größten Böenpotenzial. Auf Satellitenaufnahmen sieht die um das Zentrum herumgewirbelte Luft wie der Schwanz eines Skorpions aus. Die „giftige“ Spitze wird in dem Fall durch das Bodenwindfeld mit den extrem hohen Windgeschwindigkeiten repräsentiert. In der Meteorologie wird dies auch unter dem Begriff „Stachelstrahl“ (engl. „Sting Jet“) beschrieben, wobei der „Stich des Skorpions“ das Durchziehen des Windmaximums darstellt.
Auf Daria folgten mit Herta, Judith, Nana, Ottilie und Polly in kurzen Abständen bis Monatsmitte weitere kräftige Stürme, von denen Herta am 3. Februar in der Umgebung Windstärke 11 (orkanartige Böen) in Bad Lippspringe und Hameln erreichte. Die höchsten Windgeschwindigkeiten und Schäden traten weiter südlich und südwestlich in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Teilen NRWs auf, deutschlandweit starben sieben Menschen.
Anschließend beruhigte sich die Lage vorübergehend – die Ruhe vor dem nächsten Sturm, der sich zum Orkan auswachsen sollte. Zunächst aber sorgte eine Südwestlage für außergewöhnlich hohe Temperaturen. Nach einer kurzen kälteren Phase um die Monatsmitte, die immerhin dem Solling ein paar Tage mit Schnee brachte, stiegen die Werte wieder deutlich an und erreichten an der Holzmindener Station am 19. Februar glatt 15 Grad. Genau eine Woche lang dauerte diese ungewöhnliche Wärme mit Höchstwerten zwischen 14,5 und 17 Grad an – weder zuvor noch danach gab es so früh im Jahr eine so lange zusammenhängende Reihe mit solch hohen Temperaturen. Dazu schien unter Hochdruckeinfluss häufig die Sonne. Der Höhepunkt wurde am 24.02. erreicht, als das Quecksilber (mit dem damals tatsächlich noch gemessen wurde) nach einem Maximum von 17 Grad in der folgenden Nacht kaum unter zehn Grad fiel.
Dieser Schwall sehr warmer Luft stand allerdings schon im Zusammenhang mit der Vorderseite des Orkans Vivian, der sich am 25.02. entwickelte. Zu diesem Zeitpunkt lag der Kerndruck des Tiefs bereits bei nur 950 hPa über der nördlichen Nordsee. Auf seinem Weg nach Nordosten fiel der Druck auf bis zu 940 hPa ab. Vivian suchte vom 25.-27.02.1990 weite Teile Europas heim und kostete 64 Menschen das Leben. In Deutschland waren die Windgeschwindigkeiten in der Fläche am 26.02. am höchsten, nach Süden hin einen Tag später.
Auf dem Wendelstein gab es Spitzenböen bis zu 265 km/h, in ganz Deutschland herrschten weiträumige Geschwindigkeiten um 120 bis 130 km/h. In Düsseldorf wurde der Rosenmontagszug in den Mai verschoben, in Köln fand er unter Sicherheitsvorkehrungen statt. In Hamburg gab es mehrere aufeinanderfolgende Sturmfluten, in unserer Region wurde an der Station in Hameln die bis heute höchste Geschwindigkeit von 151,6 km/h gemessen. Landesweit starben 15 Menschen. Der versicherte Schaden würde in Deutschland wie bei Daria heute ca. 1,5 Milliarden € (indexiert auf das Jahr 2012) betragen.
Diese Schadenssumme wird auch für Wiebke hochgerechnet, den letzten Orkan der Serie, der in der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März vor allem die Südhälfte Deutschlands sowie Teile Österreichs und der Schweiz mit voller Wucht traf. Allein in Deutschland kamen 35 Menschen ums Leben. Wiebke erreichte hierzulande Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 km/h selbst in tiefen Lagen wie in Essen und bis knapp über200 km/h auf den Gipfeln von Feldberg, Zuspitze, Wendelstein und Brocken, am Jungfraujoch in der Schweiz gab es sogar Orkanböen von 285 km/h. Der entstandene Schaden in der Forstwirtschaft, an Häusern und Autos waren erheblich. Besonders in den Mittelgebirgsregionen wurden eine große Anzahl von Bäumen, aber auch ganze Fichten-, Douglasien- und Buchenbestände, wie Streichhölzer geknickt. Man geht von 60 bis 70 Millionen Festmetern Sturmholz aus, das entsprach damals in etwa dem doppelten Jahreseinschlag in Deutschland. In unserer Region fiel Wiebke weniger stark aus, in Hameln wurden genau 100 km/h gemessen, dies entspricht Beaufort 10 (schwerer Sturm) und ist etwa vergleichbar mit Sabine am 9. Februar dieses Jahres.
Bis heute hat es keine vergleichbare Häufung von Stürmen und Orkanen über Europa mehr gegeben. Im Dezember 1999 traten noch drei in recht rascher Folge auf (Anatol, Lothar und Martin), wobei Lothar als Schnellläufer an Weihnachten aus Frankreich kommend im Süden und Südwesten des Landes teils verheerende Schäden anrichtete. Kyrill am 18. Januar 2007 und Friederike auf den Tag genau elf Jahre später waren hingegen quasi Einzelgänger, richteten aber gerade in den Sollingwäldern immense Schäden an. Die deutliche Ausweitung und Professionalisierung des Warnmanagements in den letzten 20 Jahren als Folge des Weihnachtsorkans Lothar hat mit dazu beigetragen, dass bei den vergangenen schweren Stürmen weniger Personenschäden zu beklagen waren als vor 30 Jahren. Umso unverständlicher, dass mitunter über eine „Überwarnung“ geklagt und gespottet wird.
Abschließend sei noch erwähnt, dass Vivian und Wiebke auf ihrer Rückseite deutlich kältere Luft einströmen ließen, so dass sich an der Wetterstation in Silberborn Anfang März 1990 eine Schneedecke von bis zu 19 cm bilden konnte. Im Wesertal hingegen blieb jener Winter – damals war es der wärmste seit Aufzeichnungsbeginn – bis auf ein kleines Intermezzo um den Dreikönigstag schneefrei.
Verwendete Quellen:
AON Benfield: Winterstürme in Europa – Historie von 1703-2012
Deutscher Wetterdienst: Thema des Tages vom 16.01.2015 unter dwd.de
wetteran.de – Meteorologie aus Leidenschaft: Sturmtiefs
Eigene Recherche